tres camenzind, fotograf

Heimgeborenland Projekttext zum Kunstprojekt «Zwischenstationen» im Spital Uster

Heimgeborenland 

Projekttext zum Kunstprojekt «Zwischenstationen» im Spital Uster


In einem Interview (NZZ, 22.03.2014) äussert Jonathan Lethem die These, dass unsere Vergangenheit eine Art Auseinandersetzung sei, die uns betrifft. Und das Einzige, was wir Nutzen können, um sie zu rekonstruieren, sei die Gegenwart: Unser Glauben, unsere Phantasien, unsere Sehnsüchte und Ängste.
Wenn also der Fotograf Tres Camenzind sich heute dem Urserental zuwendet, wo seine Vorfahren über viele Generationen gelebt haben und er selbst während seiner Kindheit oft und für viele Wochen dort Ferien machte, bleibt der Ausgangspunkt seines Schweifens, sind seine Blicke und deren Bekräftigung durch fotografische Aufnahmen dennoch ungeschminkt an das Heute gebunden. 
Wie archaisch einige seiner Fotomotive uns auch anmuten, zeigen sie das ‚Heimgeborenland’, wie Tres Camenzind sein Langzeitprojekt betitelt, doch ausnahmslos als Gegenwart, fern einer heilen Welt. Doch uns urbanisierten Zeitgenossen genügt schon ein Fragment vermeintlicher Kalenderbilder - ein verschneiter Berggipfel, eine felsige Furt, eine grüne Au, verstreut weidende Kühe - schon juchzen wir verzückt. Wir sind gerne bereit für einen höhlengereiften Käse mehr zu bezahlen, stellen uns keine Fragen zur Architektur oder zum Standort dieser sogenannten Höhle. Und so erblicken wir einen ranken Schneemann, sehen kaum die Giraffe oder Comic-Figur mit langem Hals auf gelbem Sockel. Die Staubwolke über der Strasse wurde doch nicht durch ein Fahrzeug aufgewirbelt, nein, eine wilde Bö war’s. Sogar die Schafe blicken uns an, als hätten sie noch nie einen Fotoapparat erblickt, als hätten wir aus einer ganz anderen Zeit zu ihnen gefunden. 
Bemerkenswert, wieviel Respekt mit seinen Fotografie gewordenen Fantasien und Glauben Tres Camenzind diesem seinem Heimgeborenland zollt, zweifellos mehr als mancher Planer, Planierer und Erdhobler. 
Mit seinen Bildern gelingt es ihm, uns unsere Gegenwart in ihrer widersprüchlichen Gestalt und unaufhaltbar scheinenden Gestaltung so zu spiegeln, dass wir ehrlich bekennen müssen, selbst die Baumeister der Mauern vor unserem Paradies zu sein, blind für das, was wir nicht sehen wollen. 

im Frühjahr 2014

Giorgio von Arb, Projektleitung «Zwischenstationen» Spital Uster

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