tres camenzind, fotograf

Heimgeborenland - Laudatio Ausstellung im Bsinti, Braunwald vom 27. Juli bis 27. Oktober 2013

Heimgeborenland - Laudatio Ausstellung im Bsinti, Braunwald vom 27. Juli bis 27. Oktober 2013
Der Fotograf Tres Camenzind hat eine der ganz normalen möglichen Berglerbiografien: Geboren im Urserental auf 1500 Metern als Sohn von Realper und Hospentaler Eltern, ausgewandert ins Unterland, in den Thurgau, Fotografenausbildung in Zürich, wo er heute als freischaffender Fotograf lebt. Camenzind war bis 2011 Präsident des vfg, des Verbandes der kreativen Fotografen. Dort habe ich Tres vor rund 10 Jahren kennen- und schätzen gelernt. 

Das Urserntal im Kanton Uri, so hoch gelegen wie Braunwald, Tödiblick, Heuerberg, Schwettiberg, aber ein völlig anders Lebensgefühl: ein Talkessel. Auswege gibt’s nur über die Pässe: Furka, Gotthard, Oberalp oder hinunter durch die Schöllenen, vorbei am Teufel mit seiner Brücke. Ein Tal zum Bleiben – oder Flüchten. Warum die Camenzind geflohen sind und wovor, fragen sie sich? – 
Ein typisches Bergtal, einst in Blüte, Transitverkehr im Sommer, Tourismus im Winter, dazu ein Grossinvestor: die Schweizer Armee mit ihren heroischen Festungen, die die Freunde draussen in Europa ins Zittern brachten beim baren Gedanken, sie bezwingen zu müssen, vom vorherigen Ueberlisten des Teufels ganz zu schweigen. 
Nun, die Zeiten haben sich geändert: diese Art von Krieg scheint vorbei zu sein in Europa, die Festungen dienen höchstens noch als Erlebnispark, die Armee hat sich aus dem Staub gemacht und der Transitverkehr rollt unterhalb der Hölle des Teufels durch. Suworow ist tot und hat in Linthal sein Museum – und Camenzinds sind weggezogen. 
Das ist die Welt von Camenzinds Arbeit HEIMGEBORENLAND, einer Langzeitarbeit von Tres Camenzind, begonnen im Jahre 2006 mit ägyptischer Hilfe: dem Investor Sawiri, der im Hochtal Golfplätze, Hotels, Bergbahnen und Appartementhäuser sponsert, haben wir - indirekt - auch diese Arbeit zu verdanken. Sie sehen, wie weitreichend positiv sich solche Investitionen auswirken!! 
Im Bauch des Fotografen lag die Arbeit schon länger am Gären. Sawiri hat sie ausgelöst! Camenzind ist mit der Rollei und mit Rollfilm auf Spurensuche gegangen, hat die emotionsgeladenen Erlebnisorte des kleinen Tresli aufgesucht und das als doch ziemlich erwachsener Mann von mittlerweile 50 Jahren. 
Also ist Heimgeborenland eine völlig private Arbeit. Und Privates von diesem Fremden interessiert uns nicht, denn A: Haben wir eigene Kindheitsemotionen, die sind schon schwer, schön und schwülstig genug. B. Emotionen gehören in die Vergangenheit. Sie helfen uns im Jetzt nicht weiter. 

ABER: Camenzind ist Fotograf – und dazu noch Mensch – ein äusserst feinfühliger, wie ich seiner Arbeitsweise entnehme. Mit diesem Antrieb seiner eignen Emotionen zieht er los und fotografiert Orte seiner Kindheit. 

Den Hügel der alten Sprungschanze in Andermatt unter der Gemsstockbahn, den Ort seiner ersten Geschwindigkeitsrekorde auf Ski, gefahren zusammen mit seinem Vater. Das Baumhaus, das schon in seiner Kindheit neben dem Hotel trohnte. Die Madonna, die durchs Fenster auf die schmale Gasse schaut. und realisiert dabei, was das mit dem grossen Tres von heute macht. Und da sind wir – gottseidank im Jetzt gelandet! 

Wieviel Nostalgie wollen wir? 
Wieviel Veränderung? 
Welche? 
Welche Siedlungs-und Entwicklungspolitik streben wir an? 
Was sind wir persönlich bereit, dazu beizutragen? 

Und Camenzind beginnt mit derselben Energie Veränderungen im Tal wahrzunehmen und zu Bildern zu machen. Sein Geigerzähler ist quasi sein Bauch. Wenn er ausschlägt, fotografiert’s. Nicht wertend, nur hinweisend: Ganz fein und unspektakulär. Es sind Zeichen der heutigen Zeit, fotografiert mit dem liebevoll aufgeladenen Blick des kleinen Tresli, gemischt mit dem klaren Blick des Fotografen Tres. 
Und hier verliert die Arbeit das rein Private, sie wird öffentlich, weil sie uns alle etwas angeht. 

Wo ist unser HEIMGEBORENLAND
Oder unser HEIMGEBORGENLAND
Haben wir mehrere davon? 
Wie gehen wir mit ihnen um? 

Wir feiern heute miteinander den 1. August hier in Braunwald. Die meisten von uns sind nicht zufällig da: für einige, wie für mich, ist Braunwald das Heimgeborenland, für einige von Ihnen ist es ein Heimgeborgenland. Viele von ihnen waren als Kinder hier in den Ferien. Heute haben sie hier ihr Ferienhaus, sie kehren zurück an die Plätze ihrer Kindheit. 

Was löst der Abbruch des Hotel Niederschlacht aus in Ihnen? 
Wie sehen sie die neuen Blocks, die an seine Stelle treten werden? 
Was löst der Wegfall des Volg in Ihnen aus? 
Wie erleben Sie das Entstehen des BSINTI anstelle des Volgs? 
Und wie ist ihre Haltung dazu, wenn Sie auf der Suche nach der Fonduemischung sind, die sie immer im Volg gekauft hatten? 
Was löst das Verschwinden der Pferdefuhrwerke in Braunwald in Ihnen aus? 
Wie sehen sie die Zunahme des Dieselverkehrs? 
Und wie ist ihre Haltung dazu, wenn sie bei der Anreise am Perron stehen in Braunwald? 

Ich fordere Sie auf, zeichnen Sie ihr Heimgeborenland nach, ihre Orte der emotionalen Verbundenheit und zeichnen sie die Veränderungen auf – mit der Kamera oder vor ihrem inneren Auge und nehmen sie ihre Gefühle war, was es heute macht mit ihnen. Daraus entwickelt sich die Klarheit, Stellung zu nehmen und mitzugestalten, eine Meinung zu haben, das Heute zu entwickeln. 
Sie brauchen dies technisch und gestalterisch nicht so perfekt zu machen wie Tres hier. Aber nehmen Sie seine Idee auf, machen Sie jedes Jahr ein Panoramabild einer realen Veränderung in ihrer Umgebung, wie hier hinten das weisse Bild mit den Fundamenten des Sawiri Hotels in Andermatt. Ich bin überzeugt, dass Sie das ebenso mit Witz und Augenzwinkern schaffen wie Tres: und plötzlich ganz feine Veränderungen wahrnehmen: Die brasilianische Flagge mit Ordem et Progresso, anstelle des Uristiers beim Miststock von Bauer Regli. 
Der Alpenraum ist voller nostalgischer Gefühle. Das lähmt und verleitet zum Verharren. Dadurch kommt die Zeit der Grossinvestoren. Sie haben es einfach, sie haben keine nostalgischen Emotionen, nicht an diesem Ort. Sie haben sie anderswo. 
Etwas haben wir mit den Grossinvestoren gemeinsam: wir alle begegnen mehr Orten, die weder Heimgeborenland noch Heimgeborgenland darstellen für uns. Sind wir dort auch bereit, uns der Entwicklung so empathisch und verantwortungsvoll zuzuwenden, wie in unsern Heimatgefilden?
Achtung!! Haben Sie genau zugehört? Ich habe nicht gesagt, Investoren seien grundsätzlich verantwortungslos und Eingeborene seien grundsätzlich verantwortungsvoll …. Ich kenne persönlich Eingeborene, die alte Ahornbäume auf ihrem Grund und Boden anzünden des Nachts und ich kenne Investoren, die ihre erworbenen Gefilde zum Weltkulturerbe machen wollen. 

HEIMGEBORENLAND 

Poetisch, träumerisch, zart verpackt fordert uns Tres Camenzind auf, unsere eigenen Länder zu betreten, uns eine Meinung zu bilden zum Heute und uns dazu eine Stimme zu verschaffen. Feinfühlig, wie er ist, geht er zum Schluss zurück ins Private, Intime, ganz leise und klein, hinten in die Ecke. Vielleicht steckt dort in dieser privaten Ecke die Antwort darauf, warum es sich lohnt, diese ganze Arbeit zu leisten - . 

Ich danke dir, Tres von Herzen, dass du auf meinen Wunsch eingegangen bist, deine Arbeit hier im BSINTI zu zeigen. – Sie bildet einen wichtigen Eckpunkt, BSINTI FOTOGRAFIE als Diskussionsort der alpinen Fotografie zu etablieren. Und, sie ist ein wunderbares Geschenk an uns zum Feiertag der Schweiz. 

Und Ihnen, liebe Gäste, danke ich, dass Sie bereit sind, sich auf diese Arbeit einzulassen. 

Gestalten wir das HEIMGEBORENLAND und das HEIMGEBORGENLAND BRAUNWALD miteinander. Herzlichen Dank!

Fridolin Walcher zur Vernissage am 1. August 2013

Hintere Gasse Realp, 2011

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